Mittwoch, 12. Oktober 2011

Von Titeln und Pieper

Blattkritik
Von heute an werden wir eine neue Rubrik einführen: Weser-Leaks. Der Grund ist simpel: Der Weser-Kurier ist eine Monopol-Zeitung. Es gibt kaum eine Öffentlichkeit, die dieses Blatt beobachtet. Genau darum geht es in Weser-Leaks – eine tägliche Blattkritik und Kommentare zu den Artikeln. Natürlich sind Sie aufgefordert, mit zu diskutieren. Heute diskutieren wir die neue Ausrichtung des Weser-Kuriers und ein gelungenes Interview mit Renate Jürgens-Pieper .

Was ist eigentlich mit dem Weser-Kurier los? Seit Silke Hellwig das Blatt übernommen hat, scheint es orientierungslos vor sich hin zu dümpeln. Besonders auffällig ist die Beliebigkeit der Themen und die Hilflosigkeit der Aufmachung. Unter Lars Haider hatte der Weser-Kurier eine Richtung, über die sich streiten ließ – mehr Service, mehr Analyse, mehr Bremen. Heute scheint die Chefredaktion ohne Vision zu arbeiten. Nicht zu wissen, wozu eine Lokalzeitung dienen kann. Und teilweise erinnert der im letzten Jahr noch deutschlandweit ausgezeichnete Weser-Kurier an hilflose Schülerzeitung. Besonders offensichtlich wird das in den Titeln des Weser-Kurier.
Hellwig scheint magazinig werden zu wollen. Nur: Das gelingt ihr kaum. Sie setzt willkürlich auf große Bilder, auf mit Photoshop bearbeitete Collagen und dann wieder auf 0/8/15-Aufmacher.
Hier eine Auswahl der drei schlechtesten Titel der letzen Wochen.
Der "Kurier am Sonntag" ist eine schlechte Kopie der ZEIT. Ein Aufmacher-Thema, das aber nicht hält, was es verspricht. Denn statt eines seitenumfassenden, analytischen und tiefgehenden Textes bebildert das Foto nur einen mittelmäßig geschriebenen Aufmacher. Absurd ist, dass Hellwig es nicht einmal schafft, einfachstes, journalistisches Handwerkszeug zum Einsatz zu bringen: "Isoliertes Israel" ist eine No-Go-Überschrift. Was bedeutet sie? Wer isoliert Israel? Und warum? Was erwartet den Leser? Er muss sich die Mühe machen, den Text zu lesen - und auch der beginnt erst nach einigen Absätzen damit, zu erzählen, was er überhaupt will. Eine Subhead hätte hier schnell und einfach eine Lösung bringen können (wenigstens das hätte man ebenfalls von der Zeit klauen können). So stellt der WK etwas dar, was er nicht ist: ein Magazin. Und vor allen Dingen, er macht seinen Lesern keine Lust auf das Lesen, lässt ihn allein mit einer kryprischen Headline und einem Foto, das den Inhalt nicht erzählt.  
Nicht nur der Bildschnitt irritiert. Wer groß aufmachen will, muss auch Mut haben. Es wird nicht deutlich, warum das Foto so schmal geschnitten ist - warum läuft es dann nicht mutig über die ganze Seite? Und vor allen Dingen, der visuelle Effekt des alten Bildes wird durch eine dilettantische Überschrift ad absurdum geführt. "Von der kinderreichen Republik zur Gesellschaft der Alten" - auf der einen Seite ein emotionales Bild, auf der anderen eine Überschrift, die nicht verrät, worum es eigentlich geht, und die in ihrer Schriftgröße viel zu klein gesetzt ist. Der WK ignoriert eine der wichtigsten Regeln des Zeitungsmachens: Klarheit. Worum geht es? Wie lässt es sich ein komplexes Thema emotional und kurz zusammenfassen, um es dann ausführlich zu beschreiben? Eine Seite wie diese zeigt zwar das Wollen (eine magazinige Tageszeitung), hat aber nicht die Mittel dafür. Der Redaktion fehlt der Mut zur Erneuerung. Halbseitige oder gar ganzseitige Titel wären eine Alternative, die FAZ-Lösung eine andere: Das Bild und eine BU erzählen den Inhalt der Zeitung, machen neugierig und leiten durch das Blatt. Dieser Titel aber ist nicht nur ästhetisch ein Flopp, sondern auch inhaltlich nicht greifbar. 

Der heutige Weser-Kurier kehrt in die bleiernen Vor-Haider-Zeiten zurück. Der Elan und das Versuchslabor der letzten Wochen weicht einer 0/8/15 Aufmachung. Überschriften wie "Vom Anfang bis Ende perfekt" zeigen, dass  der Redaktion momentan die Muße fehlt, ein emotionales Ereignis (10 Spiele, 10 Siege) in packende Überschriften zu verpacken und die Leser zu begeistern. Stattdessen eine Headline aus dem Bleisatz. Sport auf dem Titel ist Emotionen auf dem Titel. Was ist mit Spielmacher Özil - dem alten Bremer? Er liegt uns am Herzen, wird gezeigt, aber in der Überschrift kein Wort über "unseren" Spieler. Das deutsche Team hat begeisterten Fußball gezeigt. Der Weser-Kurier schafft es selbst hier noch, auf dem Titel als Spaßbremse aufzutreten.    


In der heutigen Ausgabe finden wir dann ein längst überfälliges Interview mit Bremens Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper. Wir erinnern uns: Nach einem Text über ihre verfehlte Schulpolitik vor einen Viertel Jahr hat die Senatorin den damaligen Autoren zu sich zitiert, versucht, sich zu legitimieren, und – als das Ergebnis bei einer Meinungsdifferenz blieb – den ehemaligen Chefredakteur zitiert. Der hat, in vorauseilendem Gehorsam, den Journalisten angemahnt und fortan eine weitgehend freundliche Berichterstattung über die Senatorin veranlasst. 
Der Weser-Kurier wurde durch die Kraftmeierei der Senatorin auf Linie gebracht. Kritik an ihrer Arbeit war hauptsächlich in Leserbriefen zu lesen, während die Redaktion ihr noch Platz für Werbung in eigener Sache einräumte, als sie ihr neues Buch auf einer Seite – vollkommen ohne kritische Fragen – vorstellen durfte.


Um so erfrischender ist es, dass WK-Journalist Matthias Lüdecke diesen Bann in der heutigen Ausgabe bricht und Jürgens-Pieper ins Kreuzverhör nimmt.
Anlass sind die Schüler-Proteste gegen die Bildungspolitik. Und Lüdecke stellt eine wunderschöne rhetorische Frage, mit der Jürgens-Pieper ihre jahrelange Ignoranz gegenüber der realen Schulpolitik in Bremen offenbart.
Der Journalist stellt fest: „Aber den Kampf haben Sie – aus Sicht der Schüler verloren...“. Die Senatorin antwortet trotzig: „Ich habe nicht verloren. Ich habe die Bildungspolitik als Schwerpunkt durchgesetzt. Wenn die Schüler das anders sehen, dann verkennen sie die schwierige Haushaltslage.“
Es wäre wünschenswert, wenn der WK seiner neuen Linie treu bleiben würde. Das heutige Interview kam viel zu spät – Jürgens-Pieper ist noch immer Bildungssenatorin, auch, weil der WK vor der Wahl beschlossen hat, die von Eltern und Lehrern kritisierte Lage nicht aufzugreifen. Er hat sich von der Senatorin einschüchtern lassen.
Heute scheint das Blatt endlich mal wieder Position für seine Leser zu beziehen – und in ihrem Sinne zu fragen. Mit ihren Antworten erledigt Jürgens Pieper den Rest von allein. (ab)

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