Mittwoch, 19. Oktober 2011

Das Geheimnis der Überschriften

Blattkritik
Dem Leser-Kurier ist heute das Weser-Kurier-Abo durch die Chefredaktion gekündigt worden. Das freut uns, denn es zeigt: Es bewegt sich was! Die Reaktionen aus der Redaktion sind durchweg positiv – unsere Klickzahlen steigen kontinuierlich. Also wird es auch in Zukunft  mit unserer täglichen Blatt-Kritik weitergehen. Es sei denn, die WK-Chefredaktion wird auch dem heimlichen Redaktionsbüro des Leser-Kurier, dem „Litfass“, das Abo kündigen. Dann wären wir wirklich von unserer Zeitung abgeschnitten. Ob es je dazu kommen wird?
Heute soll es um die Überschriften auf der Titelseite gehen. Überschriften sollen den Leser informieren, ihm erklären, was er im Artikel lesen wird – und ihn für einen Text begeistern. Auf der Titelseite des Weser-Kurier lesen wir heute folgende Überschriften:
Nach fünf Jahren zurück in der Freiheit
Klar, wir sehen ein Bild, auf dem der freigelassene, israelische Soldat Gilad Schalit telefoniert. Aber der WK setzt voraus, dass wir seine Geschichte bereits kennen — aus der Tagesschau oder aus dem Radio. Dann aber bleibt die Frage, warum die Zeitung mit diesem „alten Hut“ aufmacht. Und wenn es so ist, dass die Zeitung das Wissen ihrer Leser voraussetzt, könnte sie auch auf das Bild direkt titeln: Nach Hause telefonieren. Oder: Erstes Gespräch in Freiheit. So aber bleibt ein Bild unemotionalisiert, verwirrt den Leser und die Überschrift bleibt ohne Botschaft.
Bremen verärgert Nachbarn
Hansestadt lehnt Projekt mit Lang-Lkw ab, Hamburg und Niedersachsen sind dafür
Das ist eine typische WK-Überschrift samt Dachzeile. „Bremen verärgert Nachbarn“ – wir wissen nicht, wer die Nachbarn sind, warum sie verärgert sind. Diese Zeile ist eine Null-Botschaft.
Und die klärt sich auch in der Unterüberschrift kaum auf: Was sind Lang-LKW? Um wessen Projekt handelt es sich? Und WOFÜR sind denn Niedersachsen und Hamburg? Kryptischer können Titel kaum sein.
Streit um Giga-Laster. Bremen will Super-LKW verhindern und verärgert Niedersachsen und Hamburg.
Dataport-Pläne weiter in der Kritik
Auch hier setzt der WK voraus, dass der Leser weiß, was "Dataport-Pläne" sind. Ich wette, bei einer Straßenumfrage würden das nicht einmal 50 Prozent der Bremer wissen. Dieses Elitentum geht in Überschriften nicht!
„Spekulanten fördern Hunger“
Verbraucherorganisation startet Aktion / Brief an Ackermann
Eine der absurdesten Zeilen! Worum geht es? Wer startet warum welche Aktion – und was, verdammt, hat Herr Ackermann damit zu tun? Von wem stammt das Zitat? Gesagt werden sollte: Wenn Banken Elend schaffen. Foodwatch macht Manager und Spekulanten für den Hunger der Welt verantwortlich.
Schön auch in der Randspalte:
Unter der Kategorie Fussball Aktuell steht die Überschrift „Championsleague“. 
So nimmt sich der WK selbst Raum, um zu titeln. Logisch müsste „Championsleague“ die Kategorie sein und als Überschrift „Bayern zufrieden mit 1:1“ zu lesen sein.
Die Überschriften auf der Titelseite zeigen, dass der WK sich verrennt. Dass er den Leser nicht mehr im Blick hat. Dass er von Dingen ausgeht, die kaum einer nachvollziehen kann. Dass Journalismus für ihn nicht bedeutet, die Leser zu aktivieren, ihnen zu helfen und die Welt auf verständliche Weise zu erklären. Man könnte auch sagen: Die Redaktion ist zu faul, um für ihren Leser zu denken. Man verlässt sich auf Abos, denn am Kiosk würde eine derartig lieblose Zeitung wohl kaum Interesse wecken. Ein Abo weniger ist immer nur der Anfang! (ab)

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